Das Adelsdorfer Unternehmen setzt auf Kleidung aus einem Rohstoff, der in der Modebranche bisher wenig Beachtung findet.

Mode aus Hanf führt hierzulande ein Nischendasein. Das liegt daran, dass die Pflanze überwiegend mit illegalem Cannabiskonsum und Drogenkriminalität assoziiert wird. Das kritisiert Robert Hertel, Alleinvorstand der HempAge AG in Adelsdorf. Der Hanf-Pionier beschäftigt sich beruflich seit gut einem Vierteljahrhundert mit diesem Textilrohstoff. Aber auch die vielseitige Geschichte der Pflanze mit einjährigem Lebenszyklus hat es ihm angetan – immerhin wurde das Nutzgewächs schon vor Jahrtausenden kultiviert. Im mittelalterlichen Nürnberg verarbeitete die erste Papiermühle auch Hanffasern zu Papier, auf dem dann die Bibel gedruckt wurde. Entdeckertouren per Schiff waren ohne die Segel, Takelage und andere Seile aus dem gegen Salzwasser widerstandsfähigen Material nicht denkbar. Und selbst manche Könige, so weiß es Hertel, hätten sich in Gewänder aus Hanf gekleidet.

Sein Geschäft startete er Anfang der 1990er Jahre, als der gelernte Zentralheizungs- und Lüftungsbauer mit Freunden eine Firma gründete, mit der sie sogenannte Dritte-Welt-Produkte aus fairem Handel verkauften, u. a. auch Bekleidung aus Alpaka-Wolle. Ein paar Jahre später kamen Produkte aus Hanf dazu. Allerdings sei in der westlichen Welt mit dem Cannabisverbot in den 1940er Jahren die Verarbeitungstechnik weitgehend verloren gegangen, berichtet Hertel. In der Mode traten Baumwolle und Kunstfaser ihren Siegeszug an. In Rumänien fand er dagegen Mitte der 90er Jahre noch eine funktionierende Hanflandwirtschaft mit der dazugehörigen Verarbeitungsindustrie, die aber nach der Wende im Zuge der Privatisierung der Betriebe weitgehend vom Markt verschwunden sei: „Das Land spielt heute in diesem Bereich keine Rolle mehr.“

Auf der Suche nach Betrieben

1999 gründete Hertel, Jahrgang 1964, die HempAge AG als Modespezialisten für Hanf. Zugleich sollten unter dem Dach der AG Neuentwicklungen rund um Hanf gebündelt und das Netzwerken mit anderen nachhaltigen Firmen gestärkt werden. Anfang der 2000er Jahre entdeckte er zufällig im Norden Chinas eine Baumwollnäherei, die auch Hanf aus lokalem Anbau verarbeiten konnte. Zwar gibt es in Süden Chinas eine florierende Hanfindustrie, mit der war Hertel aber nicht zufrieden. Man durfte die Fabriken bis dato nicht selbst besuchen, erinnert er sich. Er wollte sich aber bei potenziellen Geschäftspartnern vor Ort überzeugen, ob seine ökologischen und sozialen Ansprüche auch eingehalten werden. Außerdem hatte er zuvor nur Stoffmuster bekommen, die entgegen der Angabe als reines Hanfprodukt nur rund ein Drittel Hanfgewebe enthielten. Die Stoffmuster des nordchinesischen Betriebes waren dagegen einwandfrei. Doch während die Produktion in Fernost anlief, kam es in der Heimat zu einem heftigen Konflikt: Eine Auseinandersetzung mit dem Aufsichtsratschef legte das Geschäft praktisch für Jahre lahm. „Wir waren wegen der Sperrminorität nicht handlungsfähig“, erklärt Hertel. Eine der Lektionen nach dieser Hängepartie ist für ihn, heute keine Beteiligungen mit Sperroptionen innerhalb der Gesellschaft mehr zuzulassen.

Im vergangenen Geschäftsjahr machte HempAge mit 16 Mitarbeitern einen Umsatz von rund 2,2 Mio. Euro, ein Zuwachs gegenüber dem Vorjahr von gut zehn Prozent. Der Großteil des Geschäfts wird mit dem Einzelhandel gemacht. Rund zehn Prozent werden über den eigenen Online-Shop verkauft, der erst 2019 an den Start ging. Der digitale Vertriebskanal hat zwar in Corona-Zeiten zweistellig zugelegt, kann aber das Minus im stationären Handel nicht kompensieren. Staatliche Corona-Hilfe kommt für die kleine AG allerdings nicht in Frage. Eigentlich wollte der Vorstand in diesem Jahr auf einem naheliegenden Grundstück ein größeres Firmengebäude bauen – das Eigenkapital für den Bau muss jetzt als Puffer in der Krise herhalten.

Das Sortiment der bunten Ökohanf-Mode für Damen und Herren plus Accessoires umfasst rund 250 Artikel. Darunter findet sich auch ein besonders fein gewebter Schal aus Hanf. Das Garn ist so fein gesponnen, dass ein einziges Gramm Hanfgarn 40 Meter Länge erreicht. „Das fühlt sich an wie Seide“, schwärmt Hertel. Zudem lässt er aus chinesischer Rohware in Ungarn Socken und in Tunesien Jeans produzieren. Seine Vision zu der aktuell im Vergleich zu Baumwolle deutlich teureren Mode: „Jeder Schüler soll sich das einmal leisten können.“

Hertel führt das Geschäft nach seinen eigenen Wertvorstellungen. Ein Grund dafür ist ein prägendes Erlebnis beim Besuch einer südindischen Spinnerei in den 1990er Jahren: Mit dem Garn der Inder nähten soziale Initiativen Produkte für seine erste Firma. Doch bei dem Rundgang in dem Betrieb entdeckte er auch tote Arbeiter, an denen sich keiner störte. „Das war eine traumatische Erfahrung“, sagt er. Sie bestärkte Hertel in seinem fairen Handels- und Lieferkettenansatz: 2009 wird HempAge das zweite Mitglied der „Fair Wear Foundation“ in Deutschland. In dieser Stiftung arbeiten Bekleidungsunternehmen und Nichtregierungsorganisationen zusammen, um faire Arbeitsbedingungen entlang der Wertschöpfungskette bei der Textilproduktion rund um den Globus zu schaffen.

Potenzial von Hanf aufzeigen

Hertel sieht sich selbst weniger als Kaufmann, sondern als Techniker, auch wenn er vor seiner Ausbildung die beiden Studiengänge Maschinenbau und Bauingenieur abgebrochen hat. Er beschäftigt sich mit der Maschinentechnik, die quasi auf dem Stand von vor über 70 Jahren stehen geblieben ist. HempAge würde zwar gern in Europa produzieren, aber moderne Strickmaschinen laufen nur mit einem Hanf-Kunstfasergemisch. Den Einstieg in die Produktion mit Hanf und recyceltem Polyester verwirft er aus ökologischen Gründen, weil sich beim Waschen zu viele Plastikfasern lösen.

Zu HempAge gehört auch eine Minderheitsbeteiligung an der Bast und Faser GmbH in Adelsdorf, eine Art Denkfabrik für Hanfprodukte. „Wir wollen das Potenzial von Hanf für die Wirtschaft aufzeigen“, sagt Hertel. So wurde aktuell ein Prototyp für eine Maschine entwickelt, mit der sich bei einer Hanfpflanze vollautomatisch das äußere Fasermaterial schonend vom hölzernen Kern trennen lässt. Außerdem wird an einem Hanfverbundwerkstoff für die Automobilindustrie getüftelt. Dieser habe wegen seiner robusten Faserstruktur Vorteile gegenüber Glasfaser- oder Carbonbauteilen, weil Hanf sich zwar verforme, aber nicht splittere. Hertel will außerdem die Möglichkeiten von Hanf als Baumaterial demonstrieren, beispielsweise als Hanfdämmung, -ziegel oder auch -gips. Der anstehende Neubau des Firmengebäudes ist dafür eine gute Gelegenheit.

Autor:

tt.